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Foto: © Andy Phillipson |
Erinnert ihr euch an meinen
Monatsrückblick im Juli? Da gab es in meinem Heimatstädtchen Kunst und Kultur an jeder Straßenecke. Zwei haben damals besonders begeistert: Stefan Sing und Cristiana Casadio. Die beiden haben den Zuschauern mit ihrer einstündigen Performance die Höhen und Tiefen einer Beziehung vor Augen geführt – so eindrucksvoll, ästhetisch und teilweise humorvoll, dass es eine wahre Freude war, zuzusehen. Nicht mit großem Tamtam, sondern nur in Schwarz und Weiß, mit ein paar Bällen und sich selbst, mit Tanz und Jonglage. Sollten die beiden je in eure Nähe kommen, dann lasst euch ihren Auftritt nicht entgehen. Und selbst wenn ihr die beiden noch nie gesehen habt, erwartet euch nun ein besonderes Interview über Beziehungen, Kunst und Inspirationsquellen …
Stefan, wie kamst du zur Jonglage und Cristiana, wie kamst du zum
Tanzen?
Stefan:
Ich
habe einen 14 Jahre älteren Bruder, der immer mein Vorbild war und
ich einfach alles nachmachte was er tat (und besser sein wollte). Er
kaufte sich ein Jonglierbuch und fing an zu Jonglieren. Ich tat das
dann auch und war schnell viel besser und habe einfach nie aufgehört.
Ich war damals 13.
Cristiana:
Mit
10 Jahren habe ich mit Rhythmischer Sportgymnastik angefangen. Ich habe
das dann ziemlich schnell professionell betrieben mit alle drum und
dran wie Sportinternat, Wettkämpfe, Nationalmannschaft, etc. … Mit
18 Jahren war mein Akku leer und ich habe aufgehört. Dann bin ich zufälligerweise zum Tanzen gekommen und sofort hat mich eine gute
Tanzcompagnie genommen – seitdem bin ich Tänzerin.
Was man auf der Bühne sieht, ist eine einstündige, perfekt
inszenierte, Darbietung.
Wie
viel Vorbereitung steckt in dieser einen Stunde?
Auf
eine Art und Weise ist die Show immer der momentane Stand unserer
„Lebensarbeit“, sprich ich jongliere schon seit 25 jahren, mehr
oder weniger genauso lange wie Cristiana tanzt. Insofern kann man
sagen es stecken 25 Jahre Arbeit drin.
Ganz
konkret haben wir vor fünf Jahren zusammen angefangen zu arbeiten - es gab eine einjährige Babypause - also arbeiten wir jetzt seit 4
Jahren daran. Zuerst hatten wir eine 5minütige Varieténummer, aus
der sich dann 20 min entwickelt haben und daraus dann das aktuelle
1h-Stück.
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Foto: © Ben Hopper |
Auf der Bühne verkörpert ihr ein Paar, das verschiedene Stationen
einer Beziehung durchläuft.
Welche Stationen sind das im Wesentlichen und inwiefern spiegeln sie
eure eigene Beziehung wider?
Stadium
1: Alleine sein und dabei zufrieden sein
Stadium
2: Ohh, da ist jemand der ist wirklich ganz nett
Stadium
3: Aber eigentlich hab ich keinen Bock wieder eine Beziehung
anzufangen.
Am Anfang ist es ganz cool, aber dann wird's anstrengend.
Mein Kopf sagt "nein", aber mein Körper sagt "ja"
Stadium
4: Ok, wir probieren es
Stadium
5: Die Beziehung ist echt schön, aber manchmal brauche ich doch meine
Ruhe
Stadium
6: Wieso lässt sie (er) mir keine Ruhe? Jetzt bin richtig sauer!
Stadium
7: Aber ohne geht es auch nicht!
Das
Stück ist nicht autobiografisch. Aber natürlich gibt es viele
kleine Details, die wir in unserer eigenen Beziehung auch entdecken,
z.B. dass Cristiana mir immer hinterherräumen muss...
Ich
glaube es tut unserer reellen Beziehung sehr gut, dass wir auf der
Bühne richtig gemein und gewalttätig sein können.
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Foto: © Alessandro Sala Cesura |
Neben Inhalt und Darbietung hat mich an eurem Auftritt besonders die
grafisch anmutende Kulisse begeistert. Ihr
habt alles, auch eure Outfits, in schwarz gehalten und im Kontrast
dazu die weißen Jonglierbälle als Gestaltungselement eingesetzt.
Was waren eure Überlegungen und wichtig ist euch die visuelle
Gestaltung eurer
Auftritte?
Wir
mögen im Allgemeinen alles was minimal und einfach ist.
Wir
haben unsere Körper und die Bälle – mehr braucht es nicht, um etwas
auszudrücken.
Dass
wir die Bälle nicht nur zum Jonglieren benutzen, sondern auch als
„Wände“, um die Bühne immer wieder neu zu strukturieren, hat
sich erst in der Recherche ergeben.
Abgesehen
von der künstlerischen Sicht ist es auch ungemein praktisch ohne
Anhänger oder Übergepäck zu reisen.
Gibt es bei euch so etwas wie einen typischen Wochentag? Wenn ja, wie
läuft der in etwa ab?
Ja
klar gibt es einen typischen Wochentag.
- Aufstehen um 8 Uhr
- Um 8.45 Uhr wird Matias in den Kinderladen gebracht
- Dann um 9 Uhr Stretching/Yoga im Probenraum. Dann arbeiten an
unterschiedlichen Sachen (lange Show/Solo/reines
Techniktraining/Recherche) bis um 14 Uhr
- Dann Büroarbeit bis 16 Uhr
- Dann Matias vom Kinderladen abholen
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Foto: © Ben Hopper |
"Die Kunst ist ein hartes Brot" heißt es so schön. Wie
empfindet ihr das?
Das empfinden
wir nicht so. Wir machen das was uns Spass macht und wir müssen uns
ganz selten zu unserem Job quälen/überreden. Dass
wir keinen festen Job haben und dadurch eigentlich nicht wissen, ob
wir im übernächsten Jahr unser Geld verdienen werden, ist
mittlerweile zur Normalität geworden und nicht negativ (wer hat
schon einen wirklich festen Job?).
Manchmal
empfinden wir das Reisen als sehr anstrengend: Die Hälfte des Jahres
nicht Zuhause zu sein und immer wieder einen neuen Rhythmus finden zu müssen. Jetzt mit Kind (4 Jahre) ist das Reisen noch viel
anstrengender und ständig mit einem Gefühl verbunden, ihn aus seinem
Freundeskreis ständig herauszulösen. Das kann manchmal hartes Brot
sein.
Im
Großen und Ganzen sind wir sehr glücklich mit unserem Job. Wir
treffen viele Menschen, wir sehen viele Länder (ohne dabei Tourist
zu sein), wir können an etwas forschen, das uns Spass macht und wir
bekommen für unsere Arbeit immer Applaus.
Ich
finde einen satz von Karl Valentin prägnanter und treffender:
„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“.
Was inspiriert euch?
Stefan:
Musik, Tanz, Philosophen und andere Shows … allgemein alle Künstler, die in
ihrer jeweiligen Zeit zeitgenössisch arbeiten. Im Moment bin ich
sehr angetan von John Cage und Merce Cunningham.
Im
Allgemeinen ist das Inspirierendste ein gutes Leben zu leben – dann
läuft alles von alleine.
Cristiana:
Tanzchoreographen:
am eindrücklichsten Jiří
Kylián,
William Forsythe und Menschen im Alltag, die ihrem Leben, in welcher
Art und Weise auch immer, einen Sinn geben.
Ich wünsche euch, lieber Stefan und liebe Cristiana, dass ihr noch lange das tun könnt, was euch am meisten Spaß macht und damit unzähligen Menschen zauberhafte Augenblicke schenkt. Habt vielen Dank für dieses Interview!
Weitere Informationen:
www.stefansing.com