19.12.2012

Anke Becker







Anke Becker erstellt lieber Collagen – fügt zig Einzelteile zusammen zu einem großen Ganzen – als mit Farbe und Pinsel zu hantieren. Dieser Vorgang vom Sortieren und Zusammensetzen spiegelt für Anke am ehesten das Prinzip des Alltags wieder. Eine sehr sympathische Sichtweise der in Berlin lebenden Künstlerin!




Besonders spannend finde ich auch die vielfältigen Projekte, die Anke verfolgt. Zum einen die Gemeinschaftszeichnungen mit den Künstlerinnen Veronike Hinsberg und Inken Reinert: Das Aneinanderreihen von einzelnen Blättern wächst im Laufe des Prozesses zu einer riesigen Gemeinschaftsarbeit. Alle Beteiligten müssen sich abstimmen, improvisieren, ihre Individualität aufgeben … alles zum Wohle einer "übergeordneten Gemeinschaftskomposition", wie Anke es nennt.
Zum anderen ihr Blog economic words, auf dem sie regelmäßig die Schönheit der Finanznachrichten zum Vorschein bringt. Und ganz besonders ihr Herzensprojekt "Anonyme Zeichner", von dem ihr auch im Interview mehr erfahrt …


Liebe Anke, erzähle bitte kurz etwas zu deiner Vorgeschichte. 
Wie kamst du zu dem, was du heute tust?

Ich habe Anfang der 90er Jahr in Berlin-Weissensee Malerei studiert. Allerdings habe ich mich von Anfang an mehr für Papier und Stifte interessiert als für Leinwand und flüssige Farbe. Stifte aller Art und Farben, Collagematerial und Papier – das war und ist es immer noch, was man in meinem Atelier findet. Außerdem beschäftigt mich sowohl in meiner Kunst als auch im alltäglichen Leben immer wieder die Frage wie man verschiedenste Interessen, Notwendigkeiten und auch formale Dinge miteinander verbinden kann. Deshalb ist das Thema Collage für mich so spannend. Das alltägliche Leben ist aus wahnsinnig vielen „Baustellen“ zusammengesetzt und will immer wieder neu sortiert und organisiert werden – die Arbeit im Atelier, Geldjobs, die Zusammenarbeit mit andern KünstlerInnen und auch das Organisieren von Ausstellungsprojekten usw. Das alles in einer möglichst idealen und auch schönen Form hinzubekommen bedeutet für mich im Alltag das Prinzip Collage!

Was reizt dich an dem Thema Collage?
Das Neuordnen und Zusammenfügen von Einzelteilen, Ausschnitten und Flächen – die strenge Komposition gepaart mit Überraschung und Zufall – das finde ich sehr spannend. Auch der handwerkliche Aspekt der Collage, das Schneiden, Kleben, Überzeichnen ist für mich sehr wichtig. Der fließende Übergang zwischen Kunst und Kunsthandwerk der dem Genre Collage ja oft anhaften kann, finde ich spannend. Wo ist die Grenze zwischen Kunst und Handwerk? Ist das überhaupt wichtig? Die Idee aus relativ wertlosem, unspektakulärem Material kunst- und wertvolle Arbeiten zu schaffen finde ich extrem reizvoll.




Woher nimmst du das Material für deine Collagen? Sammelst du bestimmte Magazine, Zeitungen oder interessante Papierschnipsel?

Ich halte immer Ausschau nach Zeitschriften die auf hochwertigem Papier gedruckt sind. Wenn ich zu bestimmten Themen arbeite, suche ich aber auch bestimmte Dinge: Für die Serie Plan/Gärten z.B. habe ich Pflanzenkataloge bestellt und auf dem Flohmarkt gekauft. Für die Serie "Einzelteile" brauchte ich Rosatöne, Haut, Haar etc., da boten sich Frauenmagazine + Kataloge für Bademoden an. Wenn ich Landschaften collagiere in denen viel Wasser und Wolken vorkommen, sind z.B. Surfermagazine perfekt usw.

Auf deinem Blog "economicwords" zeigst du Zeitungsausschnitte, die du durch Streichungen auf ein paar wesentliche Worte reduzierst. Wie kamst du dazu, in der Financial Times nach literarischen Schönheiten zu suchen?

Ich hatte letztes Jahr ein Stipendium in den USA – genau in der Zeit als die Wallstreet besetzt wurde. Da ich mich sprachlich etwas unzulänglich fühlte, aber trotzdem meiner Gewohnheit folgte jeden Morgen eine Zeitung zu kaufen, kam mir die Idee die einzelnen Artikel zu bearbeiten, zu vereinfachen und haiku-artige Poesie zu destillieren, die mit dem ursprünglichen Inhalt nichts mehr zu tun hatten. Da das Thema Krise und Finanzen in aller Munde war und weil ich mich schon lange für den Zusammenhang von Geld, Kunst und Leben interessiere, begann ich bald nicht mehr irgendeine Zeitung zu bearbeiten, sondern die Financial Times, deren Papier eine lachsrosa Farbe hat. Wegen dieser Farbe ist es einfach, den Ursprung der Gedichtzeichnungen zu erkennen, auch wenn man den eigentlichen Inhalt nicht mehr lesen kann. Economicwords poetische Extrakte aus den täglichen Berichten aus der Welt der Finanzen und des Geldes – Meldungen aus dem Verborgenen, dem Dahinter und Dazwischen. Das Herstellen von economicwords ist meine persönliche Strategie mit den täglichen globalen und privaten (Finanz)krisen umzugehen und darauf zu reagieren.




Du hast das Projekt "Anonyme Zeichner" ins Leben gerufen. Für dieses Projekt organisierst du Ausstellungen, in denen Zeichnungen anonym präsentiert und verkauft werden. Das heißt, die Zeichnung des Laien hängt neben der des Künstlers und keiner weiß, von wem welche Zeichnung stammt. Wie ist diese Idee entstanden?

Ich hatte 2006 einen kleinen Projektraum in Berlin zur Verfügung den ich für ein Jahr bespielen durfte. Dort wollte ich nicht nur Ausstellungen weniger Künstler machen sondern ein regelmäßiges Format etablieren, bei dem es erstens um Zeichnung geht und zweitens die unterschiedlichsten Menschen mitmachen können. Außerdem ging es mir darum, eine Situation zu schaffen, in der die Zuschauer die ausgestellten Werke nicht mehr aufgrund der Lebensläufe der Künstler bzw. der Höhe des Kaufpreises bewerten. Deshalb die Anonymität gepaart mit einem Einheitspreis von 150 Euro pro Blatt. Die Namen der Künstler werden nur enthüllt, wenn eine Zeichnung verkauft wird. Inzwischen gibt es den Projektraum nicht mehr, aber die Anonymen Zeichner existieren immer noch und sind in 6 Jahren enorm gewachsen. Die Ausstellungen finden in wechselnden Orten statt, was das Ganze – trotz unverändertem Konzept – sowohl für mich als auch für die Zuschauer immer wieder neu und interessant macht.

Was gibt dir den nötigen Antrieb für dieses Projekt? Immerhin ist es mit einem immensen Arbeitsaufwand verbunden.

Die immer neuen und großartigen und überraschenden Zeichnungen die für die Ausstellungen per Post geschickt werden! Nichts ist schöner als auf einen anonymen Aufruf im Internet hin auf analogem Weg hunderte von Umschlägen aus aller Welt zu bekommen. Allein diese Umschläge mit den verschiedenen Handschriften und Briefmarken wären schon eine eigene Ausstellung wert. Beim letzten Mal waren es über 2000 Einsendungen aus denen ich 800 Arbeiten ausgewählt habe. Diese Auswahl zu machen und so viele extrem unterschiedliche Zeichungen zu sichten erweitert meinen eigenen (Zeichnerinnen)Horizont enorm. Und auch das Zusammenstellen der vielen Einzelblätter in eine gut funktionierende Gesamtinstallation ist immer wieder sehr inspirierend. Das ist für mich der Teil des Projektes in dem ich als Collage aktiv werde: Ich ordne viele Einzelteile, bilde neue Sinnzusammenhänge durch sorgfältiges Auswählen der einzelnen Nachbarschaften. Für mich sind diese Hängungen wie Texte, die nicht aus Wörtern sondern aus Zeichnungen bestehen.

Was wünscht du dir für die "Anonymen Zeichner" 2013?

Erst einmal wünsche mir dass wir mit Hilfe unserer Crowdfundingkampage bis Ende des Jahres das nötige Geld für einen neuen Aufruf zur Teilnahme mit darauf folgender Ausstellung zusammen bekommen. Und dann wünsche ich mir natürlich dass möglichst viele Menschen die fertige Ausstellung sehen, sich in einzelne Arbeiten verlieben und sie vielleicht sogar kaufen!

Wie sieht ein typischer Tag für dich aus?

Sehr unterschiedlich, immer davon abhängig welches meiner verschiedenen Projekte gerade wichtig und aktuell ist. Immer aber gilt: Erstmal einen Kaffee und eine Zeitung! Bis 11 oder 12 Uhr Büroarbeit, Organisatorisches, dann zeichne ich einige "economic words" und poste sie auf meinem Blog. Danach ins Atelier zum Zeichnen. Momentan bin ich sehr damit beschäftigt, mein Herzensprojekt "Anonyme Zeichner" voranzubringen, die aktuelle Crowdfundingkamapgne zu betreuen und die im März geplante Ausstellung vorzubereiten. Das ist spannend und macht Spaß - aber die eigene Atelierarbeit kommt in diesen Phasen manchmal etwas zu kurz.


Alle Fotos: © Anke Becker


Vielen Dank für das spannende Interview, liebe Anke!


Weitere Informationen zu Anke Becker findet ihr hier:


Wer Ankes Herzensprojekt "Anonymen Zeichner" unterstützen möchte, sollte sich in den nächsten Tagen noch schnell an der Crowdfunding-Kampagne beteiligen. Nur so kann die Ausstellung auch 2013 stattfinden.


1 Kommentar:

  1. Das Projekt "Anonyme Zeichner" klingt sehr vielversprechend... Ich könnte mir vorstellen, ein Teil davon zu sein :) Muss mich mal genauer einlesen. Danke fürs Vorstellen! Liebe Grüße!! Julia

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