Anke Becker erstellt lieber Collagen – fügt zig Einzelteile zusammen zu einem großen Ganzen – als mit Farbe und Pinsel zu hantieren. Dieser Vorgang vom Sortieren und Zusammensetzen spiegelt für Anke am ehesten das Prinzip des Alltags wieder. Eine sehr sympathische Sichtweise der in Berlin lebenden Künstlerin!
Besonders spannend finde ich auch die vielfältigen Projekte, die Anke verfolgt. Zum einen die Gemeinschaftszeichnungen mit den Künstlerinnen Veronike Hinsberg und Inken Reinert: Das Aneinanderreihen von einzelnen Blättern wächst im Laufe des Prozesses zu einer riesigen Gemeinschaftsarbeit. Alle Beteiligten müssen sich abstimmen, improvisieren, ihre Individualität aufgeben … alles zum Wohle einer "übergeordneten Gemeinschaftskomposition", wie Anke es nennt.
Zum anderen ihr Blog economic words, auf dem sie regelmäßig die Schönheit der Finanznachrichten zum Vorschein bringt. Und ganz besonders ihr Herzensprojekt "Anonyme Zeichner", von dem ihr auch im Interview mehr erfahrt …
Liebe Anke, erzähle bitte kurz etwas zu deiner Vorgeschichte.
Wie kamst du zu dem, was du
heute tust?
Ich
habe Anfang der 90er Jahr in Berlin-Weissensee Malerei studiert.
Allerdings habe ich mich von Anfang an mehr für Papier und Stifte
interessiert als für Leinwand und flüssige Farbe. Stifte aller Art
und Farben, Collagematerial und Papier – das war und ist es immer
noch, was man in meinem Atelier findet. Außerdem beschäftigt mich
sowohl in meiner Kunst als auch im alltäglichen Leben immer wieder
die Frage wie man verschiedenste Interessen, Notwendigkeiten und auch
formale Dinge miteinander verbinden kann. Deshalb ist das Thema
Collage für mich so spannend. Das alltägliche Leben ist aus
wahnsinnig vielen „Baustellen“ zusammengesetzt und will immer
wieder neu sortiert und organisiert werden – die Arbeit im Atelier,
Geldjobs, die Zusammenarbeit mit andern KünstlerInnen und auch das
Organisieren von Ausstellungsprojekten usw. Das alles in einer
möglichst idealen und auch schönen Form hinzubekommen bedeutet für
mich im Alltag das Prinzip Collage!
Was reizt dich an dem Thema Collage?
Das
Neuordnen und Zusammenfügen von Einzelteilen, Ausschnitten und
Flächen – die strenge Komposition gepaart mit Überraschung und
Zufall – das finde ich sehr spannend. Auch der handwerkliche Aspekt
der Collage, das Schneiden, Kleben, Überzeichnen ist für mich sehr
wichtig. Der fließende Übergang zwischen Kunst und Kunsthandwerk
der dem Genre Collage ja oft anhaften kann, finde ich spannend. Wo
ist die Grenze zwischen Kunst und Handwerk? Ist das überhaupt
wichtig? Die Idee aus relativ wertlosem, unspektakulärem Material
kunst- und wertvolle Arbeiten zu schaffen finde ich extrem reizvoll.
Woher nimmst du das Material für deine Collagen? Sammelst du
bestimmte Magazine, Zeitungen oder interessante Papierschnipsel?
Ich
halte immer Ausschau nach Zeitschriften die auf hochwertigem
Papier gedruckt sind. Wenn ich zu bestimmten Themen arbeite, suche
ich aber auch bestimmte Dinge: Für die Serie Plan/Gärten z.B. habe
ich Pflanzenkataloge bestellt und auf dem Flohmarkt gekauft. Für
die Serie "Einzelteile" brauchte ich Rosatöne, Haut, Haar
etc., da boten sich Frauenmagazine + Kataloge für Bademoden an. Wenn
ich Landschaften collagiere in denen viel Wasser und Wolken
vorkommen, sind z.B. Surfermagazine perfekt usw.
Auf deinem Blog "economicwords" zeigst du
Zeitungsausschnitte, die du durch Streichungen auf ein paar
wesentliche Worte reduzierst. Wie kamst du dazu, in der Financial
Times nach literarischen Schönheiten zu suchen?
Ich
hatte letztes Jahr ein Stipendium in den USA – genau in der Zeit als
die Wallstreet besetzt wurde. Da ich mich sprachlich etwas
unzulänglich fühlte, aber trotzdem meiner Gewohnheit folgte jeden
Morgen eine Zeitung zu kaufen, kam mir die Idee die einzelnen Artikel
zu bearbeiten, zu vereinfachen und haiku-artige Poesie zu
destillieren, die mit dem ursprünglichen Inhalt nichts mehr zu tun
hatten. Da das Thema Krise und Finanzen in aller Munde war und weil
ich mich schon lange für den Zusammenhang von Geld, Kunst und Leben
interessiere, begann ich bald nicht mehr irgendeine Zeitung zu
bearbeiten, sondern die Financial Times, deren Papier eine lachsrosa
Farbe hat. Wegen dieser Farbe ist es einfach, den Ursprung der
Gedichtzeichnungen zu erkennen, auch wenn man den eigentlichen
Inhalt nicht mehr lesen kann. Economicwords poetische Extrakte aus
den täglichen Berichten aus der Welt der Finanzen und des Geldes –
Meldungen aus dem Verborgenen, dem Dahinter und Dazwischen. Das
Herstellen von economicwords ist meine persönliche Strategie mit den
täglichen globalen und privaten (Finanz)krisen umzugehen und darauf
zu reagieren.
Du hast das Projekt "Anonyme Zeichner" ins Leben gerufen.
Für dieses Projekt organisierst du Ausstellungen, in denen
Zeichnungen anonym präsentiert und verkauft werden. Das heißt, die
Zeichnung des Laien hängt neben der des Künstlers und keiner weiß,
von wem welche Zeichnung stammt. Wie ist diese Idee entstanden?
Ich
hatte 2006 einen kleinen Projektraum in Berlin zur Verfügung den ich
für ein Jahr bespielen durfte. Dort wollte ich nicht nur
Ausstellungen weniger Künstler machen sondern ein regelmäßiges
Format etablieren, bei dem es erstens um Zeichnung geht und zweitens
die unterschiedlichsten Menschen mitmachen können. Außerdem ging es
mir darum, eine Situation zu schaffen, in der die Zuschauer die
ausgestellten Werke nicht mehr aufgrund der Lebensläufe der Künstler
bzw. der Höhe des Kaufpreises bewerten. Deshalb die Anonymität
gepaart mit einem Einheitspreis von 150 Euro pro Blatt. Die Namen der
Künstler werden nur enthüllt, wenn eine Zeichnung verkauft wird.
Inzwischen gibt es den Projektraum nicht mehr, aber die Anonymen
Zeichner existieren immer noch und sind in 6 Jahren enorm gewachsen.
Die Ausstellungen finden in wechselnden Orten statt, was das Ganze –
trotz unverändertem Konzept – sowohl für mich als auch für die
Zuschauer immer wieder neu und interessant macht.
Was gibt dir den nötigen Antrieb für dieses Projekt? Immerhin ist
es mit einem immensen Arbeitsaufwand verbunden.
Die
immer neuen und großartigen und überraschenden Zeichnungen die für
die Ausstellungen per Post geschickt werden! Nichts ist schöner als
auf einen anonymen Aufruf im Internet hin auf analogem Weg hunderte
von Umschlägen aus aller Welt zu bekommen. Allein diese Umschläge
mit den verschiedenen Handschriften und Briefmarken wären schon eine
eigene Ausstellung wert. Beim letzten Mal waren es über 2000
Einsendungen aus denen ich 800 Arbeiten ausgewählt habe. Diese
Auswahl zu machen und so viele extrem unterschiedliche Zeichungen zu
sichten erweitert meinen eigenen (Zeichnerinnen)Horizont enorm. Und
auch das Zusammenstellen der vielen Einzelblätter in eine gut
funktionierende Gesamtinstallation ist immer wieder sehr
inspirierend. Das ist für mich der Teil des Projektes in dem ich als
Collage aktiv werde: Ich ordne viele Einzelteile, bilde neue
Sinnzusammenhänge durch sorgfältiges Auswählen der einzelnen
Nachbarschaften. Für mich sind diese Hängungen wie Texte, die nicht
aus Wörtern sondern aus Zeichnungen bestehen.
Was
wünscht du dir für die "Anonymen Zeichner" 2013?
Erst
einmal wünsche mir dass wir mit Hilfe unserer Crowdfundingkampage
bis Ende des Jahres das nötige Geld für einen neuen Aufruf zur
Teilnahme mit darauf folgender Ausstellung zusammen bekommen. Und
dann wünsche ich mir natürlich dass möglichst viele Menschen die
fertige Ausstellung sehen, sich in einzelne Arbeiten verlieben und
sie vielleicht sogar kaufen!
Wie sieht ein typischer Tag für dich aus?
Sehr
unterschiedlich, immer davon abhängig welches meiner verschiedenen
Projekte gerade wichtig und aktuell ist. Immer aber gilt: Erstmal
einen Kaffee und eine Zeitung! Bis 11 oder 12 Uhr Büroarbeit,
Organisatorisches, dann zeichne ich einige "economic words"
und poste sie auf meinem Blog. Danach ins Atelier zum Zeichnen.
Momentan bin ich sehr damit beschäftigt, mein Herzensprojekt
"Anonyme Zeichner" voranzubringen, die aktuelle
Crowdfundingkamapgne zu betreuen und die im März geplante
Ausstellung vorzubereiten. Das ist spannend und macht Spaß - aber
die eigene Atelierarbeit kommt in diesen Phasen manchmal etwas zu
kurz.
Alle Fotos: © Anke Becker |
Vielen Dank für das spannende Interview, liebe Anke!
Weitere Informationen zu Anke Becker findet ihr hier:
Wer Ankes Herzensprojekt "Anonymen Zeichner" unterstützen möchte, sollte sich in den nächsten Tagen noch schnell an der Crowdfunding-Kampagne beteiligen. Nur so kann die Ausstellung auch 2013 stattfinden.
Das Projekt "Anonyme Zeichner" klingt sehr vielversprechend... Ich könnte mir vorstellen, ein Teil davon zu sein :) Muss mich mal genauer einlesen. Danke fürs Vorstellen! Liebe Grüße!! Julia
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