11.12.2012

Juli Gudehus und der Ehrenpreis

Juli Gudehus, Gestalterin aus Berlin, steckt voller Tatendrang. Nachdem sie erst vor Kurzem ihr dreitausendseitiges "Lesikon der visuellen Kommunikation" veröffentlicht hat, setzt sie nun gleich das nächste große Projekt in die Tat um: den Ehrenpreis.



Der Ehrenpreis ist ein absolutes Novum, was die Auszeichnung von Gestaltern anbelangt:
Ziel des Ehrenpreises ist es, die "Gestalter zu würdigen, die unsere Welt verschönern und verbessern".

Sollte man nicht annehmen, dass das bei allen Designpreisen der Fall ist? Leider nein. Wie Juli 2006 mit ihrer Kritik am "Designpreis der Bundesrepublik Deutschland" deutlich macht, kommen auf einen Teilnehmer dort in erster Linie hohe Kosten zu. Wer nicht zahlt, kann nicht gewinnen.

Innovative Ideen von kleinen Büros, Studios und mittellosen Gestaltern bleiben beim klassischen Designpreis außen vor. Nicht jedoch beim Ehrenpreis. Aus diesem Grund finde ich diese Projekt großartig, bewundere Juli für ihre zielstrebige Umsetzung und freue mich, dass sie sich die Zeit für ein paar Fragen genommen hat.


Was unterscheidet den Ehrenpreis ganz konkret von anderen Designpreisen?

Der Ehrenpreis unterscheidet sich zunächst dadurch, dass er weit mehr als ein Designpreis ist. Es geht um viel mehr als das, was landläufig unter »Design« verstanden wird. Darum heißt er auch »Ehrenpreis für Gestaltung«. Er ist der erste Preis, der für sämtliche gestalterischen Disziplinen offen ist: von Kommunikation, Identität und Unterhaltung über Produkt, Kleidung und Zier bis Raum, Gebäude und Gelände, digital und analog.

Natürlich ist der Ehrenpreis dennoch ein Preis und damit bei weitem nicht der einzige auf weiter Flur. Bei genauerem Hinsehen stellt sich aber heraus, dass er gewissermaßen die Birne unter den Äpfeln ist – er lässt sich mit den anderen Preisen kaum vergleichen. 

Der Ehrenpreis will etwas anderes und leistet etwas anderes. Unser Portal ist Ausgangsbasis für ein differenziertes Gespräch über Gestaltung, zu dem wir sowohl die Fachleute als auch die Nutzer einladen. Im Fokus steht also nicht nur, was gestalterisch eigentlich gut ist, sondern auch warum im Einzelnen. Es geht darum, wie und wie sehr Gestaltung jederzeit unser Empfinden, Denken und Handeln beeinflusst.


Es gibt dort regelrechte »Plädoyers« für die einzelnen Arbeiten, eigene Beschreibungen der jeweiligen Gestalter, Kommentare der Besucher und - je nachdem - Einschätzungen der Gutachter und Juroren. Was auch immer von wem auch immer hier geschrieben wird, wird öffentlich lesbar sein und bleiben. Diesen Facettenreichtum und diese Transparenz finden wir wichtig und spannend, darauf freuen wir uns.

Unser Vorbild ist das Bundesverdienstkreuz - eine für die damit Ausgezeichneten unverhoffte und kostenlose Ehrung. Alle Bürger können sich gegenseitig kostenlos und mit schriftlicher Begründung dafür vorschlagen. Dieser Staatspreis will nichts weiter, als öffentlich und mit kräftigem Applaus Menschen zu ehren, die Gutes schaffen. Das wollen wir auch, und zwar im Bereich der Gestaltung.



Wer kann beim Ehrenpreis Arbeiten vorschlagen?

Wir wenden uns ausdrücklich an diejenigen, die mit Gestaltung aller Art leben. Jeder, der gute Gestaltung zu schätzen weiß, kann Arbeiten vorschlagen. Das heißt, Gestalter können keine eigenen Arbeiten für den Ehrenpreis einreichen. Arbeiten werden stattdessen von begeisterten Nutzern, von zufriedenen Auftraggebern, stolzen Lehrenden etcetera ... vorgeschlagen. Wenn Du also in letzter Zeit etwas gesehen hast - App, Bluse, Comic ... Xylographie, Yacht, Zuchthaus - was Dich begeistert hat, dann schlag es vor! Deine Gestalterkollegen werden sich darüber freuen! 

Welche Kategorien gibt es?

Es gibt sieben Preiskategorien, die aus verschiedenen Perspektiven den Blick darauf richten, in welcher Weise und in welchem Maße Gestaltung dazu beiträgt, unsere Welt zu verschönern und zu verbessern. Und das sind sie, mit Kurztitel und kurzer Beschreibung:

»durch die Blume« - Arbeiten, 
die sich mit einem unliebsamen oder und delikaten Thema befassen

»Nächstenliebe« - Arbeiten, 
die Respekt fördern oder und Hilfsbereitschaft erleichtern

»Begleiterscheinung« - Arbeiten, 
die berühren oder und nachdenklich machen

»ah und oh« - Erfindungen 
und verblüffende, experimentelle oder und raffinierte Arbeiten

»weniger ist mehr« - Arbeiten, 
die Nerven, Zeit, Kraft, Ressourcen oder und Energie sparen helfen

»Sonnenschein« -  
stimmungsaufhellende oder und erheiternde Arbeiten

»kleine Ewigkeit« - Arbeiten, 
die wirken, als habe es sie schon immer gegeben

Die Jury verleiht den Ehrenpreis ohne Abstufungen und unabhängig von der gestalterischen Disziplin. Das heißt, eine Arbeit bekommt in ihrer Kategorie einen Ehrenpreis oder eben nicht. In der gleichen Kategorie kann zum Beispiel sowohl eine Nothaltebucht als auch ein Zeichentrickfilm ausgezeichnet werden.

Zusätzlich zur Entscheidung der Jury erhält die Arbeit mit den meisten Stimmen den Publikumspreis.


Zu was braucht es überhaupt einen Designpreis? 

Für klassische Designpreise möchte ich die Frage gern unbeantwortet lassen. Aber für den Ehrenpreis kann ich sagen: Es geht darum, das Ansehen dieser Kulturleistung in Deutschland zu fördern, die unseren gesamten Alltag durchzieht. Viele Menschen nehmen Gestaltung - wie die Luft zum atmen - nur dann wahr, wenn sie schlecht ist. Das ist zu wenig, finden wir. 

Vermutlich geht es doch uns allen so: wenn wir für eine gute Leistung gewürdigt werden, freuen wir uns. Und wir fühlen uns dazu angespornt, wieder und mehr und vielleicht sogar noch besseres zu leisten. »Geteilte Freude ist doppelte Freude« – das ist wohl wahr. Soviel zum Thema Positives bewirken. Das ist unser Ziel, da wollen wir hin.

Die Kategorien des Ehrenpreises gehen weit über den ästhetischen Aspekt von Design hinaus. Welche gesellschaftliche Verantwortung hat ein Designer/Gestalter deiner Meinung nach?

Ich denke, dass jeder einzelne von uns diese Verantwortung hat, jederzeit, privat wie beruflich. Bei Gestaltern sind die Dimensionen interessant. Wir erschaffen Dinge in teilweise sehr großer Stückzahl, mit großer Reichweite oder von großen Dimensionen. Insofern ist unsere Arbeit ein Zünglein an der Waage hinsichtlich Bildung, Haltung, Ökonomie, Umweltbewusstsein, Ästhetik, Zusammenleben, ich könnte stundenlang weiteres aufzählen.

Alle Fotos: www.der-ehrenpreis.de

Wie finanziert sich der Ehrenpreis?

Zum Glück und leider habe ich über diesen Aspekt nicht nachgedacht, als ich den Ehrenpreis ins Leben rief. Ich war komplett darauf ausgerichtet, das so zu konstruieren, wie es meiner Meinung nach optimal wäre. Die meisten existierenden Preise finanzieren sich über die Teilnahmegebühren, pro Arbeit meistens ein paarhundert Euro. Diejenigen, die das nicht so machen, sind Stiftungen mit eigenem Geld. Der Ehrenpreis hat weder selbst Geld noch nehmen wir Gebühren ein. Also sind wir komplett freischwebend. Das ist einerseits ein Riesenvorteil, weil wir wirklich unabhängig sind, andererseits ist das natürlich auf Dauer unhaltbar.

Wenn das Ganze irgendwann einmal eine Institution werden soll, wie etwa die Kindernothilfe oder ähnliches, dann brauchen wir große Sponsoren, die dafür sorgen, dass eine Handvoll von Leuten beim Ehrenpreis hauptberuflich arbeiten können. Auch für die Preisgelder, die es geben soll, brauchen wir Sponsoren. Und für die Arbeit, die wir in den letzten Monaten geleistet haben – einige von uns mehrere Tage, einige wochenlang und ich für meinen Teil arbeite seit Februar vollzeit für den Ehrenpreis.

Ich denke, dass eine solche Konstruktion möglich ist, sonst würde ich es gleich ganz bleiben lassen. Aber es wird auch nicht einfach sein. Viele Firmen halten es für eine gute Sache, kulturelle und soziale Projekte zu unterstützen. Das was wir machen, ist zwar sowohl ein kulturelles als auch ein soziales Projekt, ist aber noch nicht etabliert und überhaupt ist auch nicht Usus, Design zu fördern. Wir werden uns da extrem ins Zeug legen müssen, um zu überzeugen.

Wie integrierst du den großen Arbeitsaufwand für den Ehrenpreis in deinen Berufsalltag?

Mein Berufsalltag ist seit Anfang dieses Jahres der Ehrenpreis. Vollzeit.

Was wünscht du dir für 2013?

Ich wünsche mir, dass der Ehrenpreis die Dynamik und Wirkung entfaltet, die wir uns erhoffen. Und ich wünsche mir, dass wir potente Sponsoren finden, die in ihrer Haltung bestens zu unserer passen und uns zugunsten des Ganzen die Freiheit lassen, das zu tun, was im Sinne des Vorhabens das Beste ist.

Ich wünsche mir außerdem vom Kosmos einen guten Flow, für mich und ganz allgemein, dass alles leichter von der Hand geht. 

Herzlichen Dank an Juli für das Interview!

Weitere Infos und aktuell vorgeschlagene Arbeiten gibt es direkt beim "Ehrenpreis für Gestaltung".

Wenn euch Arbeiten begegnen, von denen ihr denkt, sie verfolgen einen tollen Ansatz und sollten gewürdigt werden – dann zögert nicht und schlagt sie vor!



4 Kommentare:

  1. gefällt mir sehr, besonders auch die preiskategorien.
    nachtrag zur adventspost: deine neuner-karte hat mich begeistert!
    lieben gruß von mano

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  2. da geb ich mano recht-die preiskategorien sind sehr originell und liebevoll erdacht!und was soll ich zur 9 sagen!? sie leuchtet im stickbilderrahmen und begeistert mich und wird morgen vorgestellt;)
    herzlichst adventlich birgit

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  3. Hochinteressatner Beitrag. Von dem Ärger (zurecht!) über das Preisgeld bei Gudehus' Nominierung zum Designpreis der BRD hatte ich schon gehört – dass daraus nun eine neuer Preis entsteht, ist super! Liebe Grüße!

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  4. Danke für den Beitrag, mir gefällt sowohl Interview als auch der Preis. Bin gespannt, wie es sich entwickelt.

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